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Sozialwissenschaftler Jens Beckert wirft in seinem Sachbuch „Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht“ einen kritisch-realistischen Blick auf Klimapolitik, Kapitalismus und das große Versagen unserer Gesellschaft.
Beckert untersucht in seinem brandaktuellen Buch die Gründe, warum es der Gesellschaft nicht gelingt, den Klimawandel effektiv zu bekämpfen: Trotz jahrzehntelanger Warnungen und umfassender Kenntnis über die Gefahren der Erderwärmung steigen die globalen Treibhausgasemissionen weiterhin an. Doch warum wurden und werden die notwendigen Maßnahmen nicht ergriffen und wie lässt sich dieses Versagen erklären?
„Je unabweisbarer und höher die Schäden durch Klimaveränderungen und der Aufwand für Klimapolitik angesichts fortschreitenden Klimawandels werden, desto größer ist die Gefahr, dass Klimapolitik zur neuen Spaltlinie der Gesellschaft wird und einem autoritären Populismus Vorschub leistet.“
Unterteilt ist das Buch in die Kapitel „Wissen ohne Wandel“, „Kapitalistische Moderne“, „Big Oil“, „Der zögernde Staat“, „Wohlstand weltweit“, „Konsum ohne Grenze“, „Grünes Wachstum“, „Planetare Grenzen“ und „Wie weiter?“. Zu Beginn erläutert Beckert quasi im Schnelldurchlauf, wie unser kapitalistisches System und die heutige Marktwirtschaft entstanden sind – für jemanden wie mich, der nur sehr wenig wirtschaftliche Berührungspunkte bisher hatte, konnten die Fakten an dieser Stelle schon beinahe erschlagend sein. Nichtsdestotrotz ist dieser Überblick an der Stelle dringend nötig, um die weiteren Zusammenhänge im Verlauf des Buchs besser zu verstehen.
Beckert argumentiert im Folgenden, dass die kapitalistische Moderne, die sich über die letzten 500 Jahre entwickelt hat, strukturell darauf ausgelegt ist, den Klimawandel nicht effektiv zu bekämpfen. Er beschreibt die unterschiedlichen Macht- und Anreizstrukturen, die kurzfristige Gewinne und Vergnügen über langfristige ökologische Notwendigkeiten stellen. Unternehmen, Politiker, Wähler und Konsumenten handeln alle im Rahmen eines Systems, das kurzfristige Anreize bevorzugt und langfristige Konsequenzen vernachlässigt.
Der Klimawandel wird dabei als ein „tückisches“ Problem beschrieben, das sich durch seine Komplexität und die Vielschichtigkeit der beteiligten Faktoren auszeichnet. Beckert zeigt, dass die institutionellen und kulturellen Strukturen der kapitalistischen Gesellschaften fast zwangsläufig zu einem Scheitern im Umgang mit dem Klimawandel führen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass alles so eng miteinander verzweigt ist, dass es auch für einzelne Unternehmen oder politische Akteure nahezu unmöglich ist, Veränderungen anzustoßen oder umzusetzen, ohne sich selbst ins Aus zu befördern.
„Klimaschutz wird ohne kompensierende Sozial- und Strukturpolitik und ohne Ausweitung der finanziellen Unterstützung des globalen Südens nicht zu haben sein.“
Beckert bringt zahlreiche Beispiele und veranschaulicht, wie tief die kurzfristigen Anreize in den Strukturen unserer Gesellschaft verwurzelt sind. Dafür analysiert er die Handlungen von Unternehmen, Politikern und Konsumenten und zu zeigt, warum diese Akteure nicht die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel zu stoppen – vom gesellschaftlichen Aufstieg einzelner Individuen bis hin zum Vermeiden herber betrieblicher Verluste. Auch, wenn schon zahlreiche Fälle genannt werden, hätte ich mir hier etwas tiefergehende sozialwissenschaftliche Betrachtungen gewünscht – vielleicht einzelne Kapitel für verschiedene gesellschaftliche Gruppen, die eine genauere Analyse bieten. Das hätte aber vermutlich den Rahmen gesprengt.
Zum Ende des Buchs hin betont der Autor und Sozialwissenschaftler die Notwendigkeit von Anpassungsfähigkeit, Resilienz und solidarischem Handeln. Er argumentiert, dass eine realistische Klimapolitik diese Eigenschaften fördern muss, um effektiv zu sein. Dies erfordert tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise, wie gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden. Auch Aktivismus auf individueller und kollektiver Ebene wird als mögliche Lösung präsentiert, um Politik und Wirtschaft endlich zum Handeln zu bringen.
Beckert selbst beschreibt seinen Ansatz als „pessimistischen Realismus“: Er bietet keinen einfachen Ausweg aus der Klimakrise, sondern fordert eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen. Die Temperaturen steigen weiter und soziale sowie politische Konflikte werden sich verschärfen, wenn nicht umgehend gehandelt wird. Dass hier rein gar nichts beschönigt wird, finde ich herrlich erfrischend – und äußerst angebracht. Beckert liefert zwar keine konkreten, umfassenden Lösungsvorschläge, aber es wäre auch absolut anmaßend, dies von einem einzelnen Individuum zu verlangen, wenn schon ganze Städte, Länder und Gesellschaften es nicht schaffen. Seine Ideen existieren schon, werden aber bis dato nicht umgesetzt: höhere Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung, mehr auf Nachhaltigkeit ausgerichtete staatliche Regulationen innerhalb der Wirtschaft, nachhaltige Beschränkungen von wirtschaftlichem Wachstum und exzessivem Konsum, ein Fokus auf Maßnahmen, die lebenspraktische Verbesserungen bieten statt abstrakte Konzepte und ohnehin unerreichbare Ziele.
„Verkaufte Zukunft“ zeigt auf, dass die gegenwärtigen Strukturen der kapitalistischen Moderne und die damit verbundenen Macht- und Anreizsysteme die Hauptgründe dafür sind, dass der Klimawandel nicht effektiv bekämpft wird. Beckert fordert eine Umgestaltung dieser Strukturen, um eine realistische und wirksame Klimapolitik zu ermöglichen, die langfristige Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. An einigen Stellen hätte das Buch für mich persönlich auch ausführlicher und tiefgehender sein können, erfüllt jedoch seinen Zweck als informativer Überblick, der politische, wirtschaftliche und sozialwissenschaftliche Zusammenhänge gut verständlich und vor allem in all ihrer tristen Realität darstellt.
Wir durften uns mit Beckerts Werk (erschienen bei Suhrkamp) im Rahmen des Deutschen Sachbuchpreises 2024 als Teil des Bloggerteams beschäftigen. „Verkaufte Zukunft“ stand auf der Liste der Nominierten, gewonnen hat den Preis Christina Morina mit ihrem Buch „Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren“.
Der Originalbeitrag ist auf Nadine Wichmann und Alexander Oliers Instagramkanal nachzulesen.
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