Christina Morina untersucht anhand von Selbstzeugnissen die Demokratievorstellungen von Bürger*innen in Ost und West seit den 1980ern. Sie arbeitet Unterschiede und wechselseitige Bezüge im Staats- und Politikverständnis heraus und macht die Grenzen der westdeutschen Liberalisierung ebenso sichtbar wie die Vielfalt der ostdeutschen Demokratieaneignungsversuche.
Demokratien befinden sich auf der ganzen Welt in der Krise, darüber herrscht weitgehende Einigkeit. Die Frage aber, was es eigentlich heißt, Demokratie zu leben, gerät dabei oft in den Hintergrund. Christina Morina nutzt bisher wenig beachtete Quellen, um zu zeigen, wie unterschiedlich sich das Demokratieverständnis in Ost- und Westdeutschland seit den 1980er Jahren entwickelt hat. Ihre methodisch raffinierte und augenöffnende zeitgeschichtliche Analyse auf der Grundlage von Briefen, Petitionen und Flugblättern gibt Bürger*innen der DDR und der BRD eine Stimme. Morina liefert mit diesem Buch überraschende und notwendige Impulse für die aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen. Ihr Buch riskiert viel, ohne zu polarisieren – Demokratie ist Prozess, kein Zustand.
Christina Morina analysiert in ihrer methodisch spannenden Studie das divergierende Demokratieverständnis der Ost- und Westdeutschen seit den 1980er Jahren anhand bislang nicht ausgewerteter Briefe, Petitionen und Flugblätter einfacher Bürger*innen der Bundesrepublik und der DDR.Auf diese Weise gelingt ihr eine profunde deutsch-deutsche Demokratiegeschichte „von unten“ jenseits vorgefertigter Erzählmuster und polemischer Einseitigkeiten. Sie eruiert einerseits eine ostdeutsche „Demokratieanspruchsgeschichte“, die auf dem Misstrauen der Bürger*innen gegenüber dem Staat bei gleichzeitiger Identifikation mit dem Land und seinen Idealen basierte, und nimmt andererseits die „Bonner Republik“ als Verlustgeschichte in den Blick. Den verhärteten Ost-West-Debatten gibt ihr Buch neue Impulse und Perspektiven.
Christina Morina ist seit 2019 Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Gesellschafts- und Erinnerungsgeschichte des Nationalsozialismus, in der politischen Kulturgeschichte des geteilten und vereinigten Deutschlands sowie in dem Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis. Christina Morina studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik an den Universitäten Leipzig, Ohio und Maryland (USA) und wurde 2007 mit einer Arbeit über den Krieg gegen die Sowjetunion in der deutsch-deutschen Erinnerungskultur promoviert. Sie war von 2008 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo sie sich 2017 mit einer Arbeit über die Ursprünge des Marxismus habilitierte.
Ich notiere und fotografiere jedes einzelne Blatt, staune und schmunzle manchmal auch über die unbändige, demokratiehungrige Fantasie, die sich hier ausdrückt, und ich wundere mich über die vielen deutsch-deutschen Bezüge, die in der öffentlichen Verhandlung der 1989er-Revolution heute kaum mehr eine Rolle spielen. Nach dem Verschließen der Kartons steige ich die weite Treppe im Leipziger „Haus der Demokratie“ hinab – ein Haus, das seinen Namen erkämpft und verdient hat und zugleich die Autorität eines altehrwürdigen Gymnasiums ausstrahlt – und denke: tausend Aufbrüche!
Gespräch mit Joachim Gauck beim WDR Europaforum 2024 Deutschland vor der Europawahl (Mediathek)
Interview bei Deutschlandfunk Kultur (Audio)
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